Bautrends
Berlin. Hochhaus. Das klingt eher wie die Drehbuchanweisung eines sozialkritischen Melodrams mit schlechtem Ausgang. Beteiligte Charaktere: finstere Gestalten, anonyme Nachbarn, Menschen ohne Zukunft. Dieses Bild wird sich in den nächste Jahren völlig verwandeln. Denn der Hochhausbau ist weltweit angesagt und das Leben im Wohnhochhaus wird dabei völlig neu definiert. Europa hinkte diesem Trend bislang hinterher. Doch nach London und sogar Zürich hat nun auch Berlin das Hochhausfieber gepackt. Bis Ende 2020 entstanden in den deutschen Großstädten Berlin, Frankfurt, München, Stuttgart und Düsseldorf mindestens 17 Wohnhochhäuser durch Bestandssanierung und Neubau. Weitere 30 Woihntürme befinden sich im Bau, 20 weitere in der Planung.
Künstler, Studenten, Politiker, Businesspeople – Berlin ist seit Jahren ein Magnet für Menschen, die etwas unternehmen wollen. Der anhaltend starke Zuzug von Neuberlinern mit Bedürfnissen nach Zentralität und Flexibilität stellt die Stadt vor große Herausforderungen.
Zukunftsforscher sehen die Urbanisierung generell als wichtigsten Trend der kommenden Jahrzehnte. Weltweit werden derzeit Ideen für die Stadt der Zukunft entwickelt. Stadtplaner suchen nach tragfähigen Konzepten, die Wohnen, Arbeiten, Mobilität, Energieverbrauch, Nachhaltigkeit und weitere Faktoren verbinden. Hochhäuser werden in diesen Konzepten eine tragende Rolle spielen. Für Investoren und Architekten bedeutet dies eine einmalige Chance, an der Neugestaltung der Metropolen mitzuwirken.
Das Hochhaus der Zukunft wird keine dunklen Flure mehr kennen. Ging es in der Nachkriegszeit darum, möglichst schnell möglichst viel günstigen Wohnraum zu schaffen, meistens irgendwo in unattraktiver Stadtrandlage, so hat sich die Zielsetzung völlig verändert. Jetzt heißt sie: schöner Wohnen auf kleiner Fläche mitten in der Stadt. Wie das geht zeigen internationale Stararchitekten überall auf der Welt. Und nutzen dabei alle kreativen und technischen Möglichkeiten. Es entstehen Kunstwerke, die mit dem direkten Umfeld des Gebäudes korrespondieren und das Stadtbild neu prägen. Häuser, die ihren Bewohnern viel zu bieten haben, in denen man gerne lebt und die auch auf Instagramm etwas hermachen.
Wer in den 90ern aufs Land geflüchtet ist, aber dort vor allem einen Mangel an Schulen, kultureller und sozialer Infrastruktur vorgefunden hat, der kann sich jetzt aufmachen in die Höhe. Moderne Wohnhochhäuser locken mit grünen Dachterrassen, einem unverstellten Ausblick in den Himmel und einer Ruhe, für die man sonst viele Kilometer Fahrtweg zurücklegen muss. Im modernen Berliner Wohnhochhaus wechseln Sie mit einem Druck auf den Fahrstuhlknopf zwischen Vogelperspektive und dem quirligen Trubel einer Hauptstadt. Museen, Oper, gute Schulen – man genießt, was die Stadt zu bieten hat, inklusive Sonnenuntergang.
Wohnhochhäuser heute sind natürlich infrastrukturell perfekt angebunden. Aber auch sonst denken Architekten die Perspektive der künftigen Bewohner beim Planen jederzeit mit. Was brauchen junge Menschen, um sich wohlzufühlen, was ältere? Welche Bedingungen schätzen Familien, welche Berufstätige? Und so sind nicht nur die Zuschnitte der Wohnungen variabel. Es entstehen Nutzungskonzepte, die alles mitgedacht haben. Läden für den schnellen Einkauf; Fitness- und Wellnesseinrichtungen für einen entspannten Feierabend; Cafés, Restaurants und Skylounges für schöne Stunden in Gesellschaft. Manchmal sogar ein Hotel für Gäste. Aber auch Kitas und Gesundheitsangebote gehören dazu. Natürlich auch die Tiefgarage. Manchmal Zimmerservice und Concierge. Alles eben was das Leben bequem macht. So holen Sie übrigens auch bei Regen Ihre Sonntagsbrötchen immer ganz ohne nasse Füße.
Architekten erproben ständig was noch alles geht. Das »Bosco Verticale« in Mailand zum Beispiel wurde 2014 mit dem Hochhauspreis für Klimaschutz und Design ausgezeichnet. Seine Balkone sind mit Bäumen bepflanzt, die vor Hitze, Kälte und Lärm schützen und ein besseres Mikroklima in den Wohnungen schaffen. Bewässert werden die Pflanzen vollautomatisch mithilfe eines elektronisch kontrollierten Bewässerungssystems. Gärtner kümmern sich um die Pflege des Fassadenwalds. Die Bewohner genießen den Duft des Waldes vom heimischen Sofa aus. Diese Idee hätte wirklich auch von einem Berliner kommen können.